Leider ist es etwas mühsam für jeden Abspannpunkt einen großen Stein hochzuschleppen, aber die Aussicht auf das Meer, die Inseln und die Berge ist grandios. Wir informieren per Handy Rainer & Cornelia, wo wir in den nächsten Tagen zu finden sein werden. Allmählich verlieren wir jedes Zeitgefühl, da es Tag und Nacht hell genug ist, um unterwegs zu sein.
Wir steigen mittags in den Westpfeiler am Presten (11 SL, UIAA VII-) ein, machen aber nach 1 1/2 Seilängen einen Rückzug. Nach dem Südpfeiler war die Pause wohl für unsere Psyche doch zu kurz (oder die Rucksäcke zu schwer;-)). Es ist unglaublich heiß. Rainer & Cornelia treffen ein. Wir klettern abends am "Pianokrakken" eine leichte Tour: "Piano Dealer Lund's Route" (4 SL, UIAA V-)
Die Sonne geht nicht unter: Nachdem sie zunächst kurz am Horizont hinter einem Berg verschwindet, taucht sie etwas später als Mitternachtssonne im Norden wieder auf.
Am Abend stößt Karin zu uns. Sie ist eine Kletterin aus Hannover, die jetzt auf den Vesterålen wohnt, das ist ca. 100 km Luftlinie entfernt. Obwohl sie eine relativ kurze Anfahrt zum Stetind hat, mußte sie in der Vergangenheit bereits dreimal wegen schlechtem Wetter am Wandfuß umkehren. Was haben wir bloß für ein Glück gehabt!
"Guns N' Roses" (3 SL, UIAA VI).
Abends 20:00 steigen wir in die Klettertour "Bare Blåbær" (5 SL, UIAA V) am Pillaren ein. Der lange Zustieg am See entlang und dann z.T. unwegsam durch dichten Birkenurwald läßt uns mal wieder reichlich schwitzen.
"Bare Blåbær" heißt wörtlich "nur Blaubeeren", meint aber im Norwegischen soviel wie "babyeierleicht". Das ist es vielleicht nicht gerade, aber superschön. Cornelia hat auf dem Rückweg um 4 Uhr nachts als einzige noch die Kraft und Muße die echten Blaubeeren zu genießen. Die Route ist übrigens etwas besonderes: man findet hier eine Abseilpiste mit Doppelbolts vor, so daß der Abstieg sehr einfach und schnell vonstatten geht, zumindest in der Theorie. Auf dem Rückweg kommen wir am frühen Morgen mal wieder am Presten vorbei.
Ein toller Berg mit einigen ausgesetzten "Scramble"-Passagen und einer luftigen Reitpassage, die sich allerdings auf einer Reibungsplatte locker umgehen läßt, zumindest wenn es trocken ist.
Die grandiose Aussicht oben auf dem Gipfel kommt angesichts der ausgesetzten Wegeführung zwar nicht überraschend, ist aber dennoch einfach nur atemberaubend. Man sieht die Lofoten, oder zumindest die Insel Austvågøy, aus der für uns doch ungewohnten Vogelperspektive. Am Horizont sieht man das Norwegische Festland, einen Moment lang versuchen wir tatsächlich, den Stetind zu suchen, und es kommen tatsächlich einige Gipfel in Frage.
Wie immer sind wir erst abends oben und sehen wie zwei Fähren der Hurtigruten praktisch unter unseren Füßen fast 1000 m tiefer ihre Wege kreuzen.
Ich denke noch, jetzt fehlt nur noch, daß sie sich mit dem Nebelhorn begrüßen und da passiert es auch schon. Das ist nun doch fast zuviel Kitsch auf einmal. Der Abstieg in der Abendsonne ist nochmal richtig anstrengend, erlaubt aber immer wieder tolle Ausblicke - was für ein schöner Tag!
Fahrt nach Svolvær. Rainer führt Axel und mich auf die Svolværgeita über die "Vorderseite" (5 SL, UIAA VI-). Der Aufstieg ist steil und staubig. Wir nehmen nur das Nötigste mit. Die Suche nach dem Einstieg soll laut Webster einfach sein, wir schaffen es dennoch und laufen vorbei. Das beschert uns etliche zusätzliche Höhenmeter!
Ich nutze die Gelegenheit und springe mit reichlich Schlappseil auf das zweite Horn, so wie es scheinbar üblich ist, wenn man der Werbung glauben mag;-)
Der erste Teil des Urlaubs mit Felsklettern ist hiermit vorbei. Wir nehmen aus
dem Urlaub mit, daß a) das Verhältnis von Normal- bzw. Bohrhaken zu
Klettermetern in Nordnorwegen maximal 1:500 beträgt, jedoch meist einfach 0
ist, und b) die Differenzen zwischen norwegischer Schwierigkeitsskala und
UIAA-System
über die Schwierigkeiten schwanken und erst dann abzuschätzen sind, wenn man
weiß, wie sich ein bestimmter "Norwegergrad" anfühlt.